Der große Hunger. Holodomor in der Ukraine

Geschichte der Ukraine

Land und Frieden hatte Lenin den Bauern versprochen, um sie für seine Revolution zu begeistern. Doch statt Frieden gab es erst einmal Bürgerkrieg und eigenes Land ließ man ihnen gerade noch ein Jahrzehnt.

Die erste Hungersnot zog während des Bürgerkriegs über das Land. Erbarmungslos beschlagnahmten Erfassungskomitees Getreide für die Rote Armee und die Städte. Gehungert wurde nicht nur in der Ukraine. Über 200 000 Menschen flohen von der Wolga nach Westen, um dort nichts vorzufinden als weiteren Hunger. Trotz ausländischer Hilfe starben gegen eine Million Menschen.

Dann kam die "Neue Ökonomische Politik" (NEP). Die Kommunisten schienen erkannt zu haben, dass nur mit einem Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit Fortschritt möglich ist. Die Situation auf dem Land besserte sich. Die Abgabepflicht wurde gelockert, an Stelle von Naturalien traten in Geld zu entrichtende Steuern. Es begann sich zu lohnen, für den Markt zu produzieren.

Nur wollte der nicht funktionieren. Die Staatsbetriebe produzierten am Markt vorbei und generell zu wenig. Als illusionäre Volkswirtschaftspläne und ehrgeizige Großprojekte zusätzliches Chaos schufen, lohnte sich intensive Landwirtschaft nicht mehr.

Stalin, der zu dieser Zeit seine Macht mehr und mehr festigte, wusste, wie gefährlich unzufriedene Bauernmassen sind. Besonders dann, wenn ein Teil von ihnen stolz und selbstbewusst aufzutreten gelernt hat. Solche gab es und sie galt es zu vernichten. Kollektivierung und Entkulakisierung waren die Zauberworte. Seit 1930 wurden die ukrainischen Bauern in Kolchose gezwungen. Natürlich widersetzten sich hierbei besonders die erfolgreich wirtschaftenden Familien – das Rückgrat der Bauernschaft. Kurzerhand erklärte man sie zu Kulaken: volksfeindlichen Schmarotzern und Blutsaugern, die es zu vernichten galt. So wurden fast ausnahmslos Millionen von Menschen deportiert. Frauen und Männer, Alte und Junge ausgesetzt entlang der Gleise sibirischer Bahnstrecken, mit Frachtkähnen auf den großen Flüssen in Richtung Eismeer verschifft und irgendwo in der Tundra nördlich des Polarkreises ihrem Schicksal überlassen.

Gleichzeitig wurden 1931 für die übriggebliebenen die Zwangsabgaben erhöht. 83 kg Getreide pro Kopf blieben einer Familie 1939 noch zum Überleben in der Ukraine. Die neugeschaffenen Kollektivwirtschaften versagten. Den Ton gaben hier zumeist politische Aktivisten ohne Sachverstand an. Die erfahrenen Landwirte waren entweder deportiert oder hielten sich zurück. Oft genug waren die Weisungen der neuen Obrigkeit von keinerlei Sachverstand getrübt. Ihr Nichtbefolgen aber wurde als Sabotage ausgelegt und mit Lagerhaft bestraft.

Wieder grassierte der Hunger. Er traf besonders hart die Ukraine. Bis zu einem Viertel der Dorfbewohner im Süden und Osten des Landes verhungerten in den Jahren 1932 und 33. Ganze Dörfer starben aus. Kannibalismus trat auf. Manchmal schleppten sich die sterbenden Menschen zu den Bahnstationen, in der Hoffnung dort etwas Essbares zu erhalten. Man rechnet heute mit 3-5 Millionen Toten, während die Getreideexporte nach Westeuropa nicht aufhörten. Nein, es gab keinen Hunger im glücklichen Land der Arbeiter und Bauern.

Danach gab es keine Bauern mehr – nur noch Kolchosbauern. Die Ereignisse zu Beginn der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts haben das ländliche Bild der Ukraine wesentlich geprägt. Vieles was uns heute dort begegnet, lässt sich nur durch sie erklären.

An das namenlose Leid von Millionen Menschen erinnert die Gedenkstätte neben dem Michaelskloster in Kiew und manches neu errichtete Kreuz in ukrainischen Städten. Die ukrainische Staatsführung vertritt die Ansicht, dass die Katastrophe direkt und bewusst auf das ukrainische Volk abzielte und spricht dementsprechend von einem Genozid. Dem widersprechen jedoch einige Historiker.

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